Herzlichen Glückwunsch.

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Sie haben sich durchgerungen, haben sich endlich entschieden, ein Hörsystem zu tragen. Warum? Damit alles besser wird: das Hören, die Kommunikation – der Taum, wieder dabei zu sein. Sie haben sogar einiges dafür springen lassen. Aber – alles ist einfach nur laut, Sprache ist verzerrt und unverständlich und Sie möchten am liebsten die Flucht ergreifen. Bei manchem ist die Enttäuschung groß und der teure Hoffnungsträger Hörsystem landet nicht selten in der Schublade. Das kommt Ihnen bekannt vor? Dann lesen Sie weiter!

Der Grund für die Enttäuschung über den geringen Erfolg des Hörsystems für die Kommunikation liegt in der sog. „Deprivation der Hörbahnen“. Je nach Art und Stärke der Schwerhörigkeit nimmt ein schwerhöriger Mensch seine akustische Umgebung einschließlich Lautsprache verändert wahr. Geräusche werden leiser und entstellt; Sprachlaute verzerrt gehört. Dieses veränderte „innere Hörbild“ empfindet er zunehmend als normal. Bei mittel- bis hochgradiger Schwerhörigkeit kommt es zudem zu einer vermehrten Verschiebung von der akustischen (gehörten) zur visuellen (gesehenen) Sprachwahrnehmung – die Abhängigkeit vom Mundbild, wodurch die akustische Information der Sprache in den Hintergrund tritt und zunehmend verlernt wird. Ebenso werden die einzelnen auditiven (Hör-) Wahrnehmungsfähigkeiten wie Erkennen, Einordnen, Trennen eines auditiven (Hör-)Eindrucks und Hervorheben von anderen Eindrücken usw. zunehmend verlernt, je länger der Hörverlust andauert.

Mit Anpassung eines Hörsystems wird die Umwelt nicht nur lauter wahrgenommen, sondern v.a. anders. Die Hörbahnen werden stimuliert. Zugleich tritt jedoch eine Irritation bis hin zur Überforderung ein, da mehr gehört, aber das vermehrt Gehörte kein Mehr an Verstehen bringt. Im Gespräch mit einer Person vermag die höhere Lautstärke Verbesserung bringen. Aber im Gespräch mit mehreren Personen und /oder unter akustisch schwierigen Bedingungen wird das Hörsystem eher als störend empfunden. Zudem kommt es zu Hörverwechslungen und damit zu Missverständnissen. Das Mehr an akustischer Information führt nicht zu einer Verbesserung des Verstehens, sondern wird als störend empfunden, weil verlernt wurde, dieses Mehr an Informationen für das Hörverstehen einsetzen zu können.

Während die Funktionseinschränkung im Innenohr nicht reparabel ist, profitieren wir von der Plastizität unseres Gehirns: in Abhängigkeit von der Nutzung können sich Verbindungen verändern. Verlerntes kann neu gelernt; bestehende Verknüpfungen können reaktiviert werden. Das ist am besten mit einem systematisch-kontrastiven Hörtraining realisierbar. Am besten funktioniert dies, wenn es auch noch Spaß macht und ausreichend Motivation vorhanden ist.

Ziel eines solchen Hörtrainings ist das Wieder-Erlernen des Filterns und Erkennens bestimmter akustischer Muster von Geräusch und Sprache. Die Aufmerksamkeit soll sich auf diese Merkmalsunterscheidung konzentrieren, diese fokussieren und damit bestimmte Wahrnehmungsstrategien (neu) erlernt werden. Hierzu zählt beispielsweise das Unterscheiden von Geräuschen hinsichtlich ihrer Tonhöhe, Dauer, Lautheit. Bezogen auf das Hör-Sprachverstehen wäre ein solches Merkmal die Unterscheidung von kurzen und langen Vokalen. Hat mein Partner für seinen Spaziergang den „Hut“ oder den „Hund“ vergessen? Kommen die Schwiegereltern am „Sonntag“ oder am „Montag“? Ein anderes Beispiel zeigt die Unterscheidung des Merkmals stimmhaft/stimmlos: ein „Bund“ Möhren oder ein „Pfund“ Möhren? Je besser derartige sprachliche Merkmale wieder akustisch unterscheidbar sind, desto besser gelingt das Gespräch mit mehreren Personen – also die Unterscheidung der Sprache von Person A und B. Hilfreich sind dabei Kenntnisse über Wortzusammenhänge und Lautkombinationen. Das Wissen um die Lautbildung, also die Aussprache eines Lautes, unterstützt zudem das Hörverstehen und Absehen vom Mund. Dieser Zusammenhang zwischen Aussprache und Sprachwahrnehmung ist schon seit dem 18.Jhd. bekannt. Damit unterstützt ein Hörtraining, welches diesen Zusammenhang berücksichtigt, auch eine deutliche Aussprache der Person mit Hörverlust. Sie kann damit Vorbild für sein Gegenüber sein und allein durch „spiegeln“ eine deutliche Aussprache seines Gegenübers erreichen.

Damit ist die zweite Zielstellung eines Hörtrainings angesprochen – die Vermittlung bestimmter Taktiken. „Spiegeln“ heißt, der Gesprächspartner übernimmt meine langsame und damit deutliche Sprechweise. Er „spiegelt“ sie und das erleichtert mir das Verstehen. Eine weitere erwähnenswerte Technik ist das aktive Zuhören bzw. Zusammenfassen meiner verstandenen Sequenzen: „Ich komme also am Sonntag um vierzehn Uhr zur Haltestelle?“ „ Nein, bitte am Montag, um siebzehn Uhr.“ Damit zolle ich meinem Gegenüber Respekt und gebe ggf. die Möglichkeit der Korrektur von Missverständnissen.

Mit fortschreitendem Hörtraining verbessert sich die auditive Wahrnehmung und das Hörsystem kann an diese gewonnenen Fähigkeiten weiter angepasst werden. Der Nutzen des Hörsystems stellt sich zunehmend ein. Hörtraining können Sie bei Audiotherapeuten oder auf Rezept eines HNO-Arztes bei Logopäden erhalten. Viel Erfolg!