…(aus dem lateinischen: Geklingel) heißen Ohrgeräusche, deren Auftreten in letzter Zeit zwar fast explosionsartig zunehmen, in Wahrheit aber so alt wie die Menschheit sind.
Zur Geschichte der Ohrgeräusche
Der volkstümliche Aberglaube, dass wenn einem die Ohren klingeln jemand über einen (Gutes oder Schlechtes) spricht, war schon den Assyrern und Ägyptern im 1. Jahrtausend vor Christi bekannt, wurde später bei den Griechen und Römern und im Mittelalter von dem berühmten Arzt Paracelsus beschrieben.
Auch der Zusammenhang zwischen Stress oder konkreter Angst und Tinnitus lässt sich schon im Alten Testament nachlesen (Jer 19,3: Seht, ich bringe solches Unheil über diesen Ort, dass jedem, der davon hört, die Ohren klirren).
Ob das auch für die berühmten Männer der Zeitgeschichte gilt, die von Tinnitus geplagt sein sollen (Luther, Rousseau, Beethoven, Smetana, van Gogh usw.), ist unbekannt. Schwer beeinträchtigt dürften sie gewesen sein, insbesondere die Komponisten, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wie äußert sich ein Tinnitus?
Tinnitus ist nicht nur ein Ohrgeklingel, wie der lateinische Name sagt (das ist sogar eher selten – siehe unten), Tinnitus sind vielfältige Ohrgeräusche im Sinne von Pfeifen (vier von zehn Betroffenen), Rauschen (jeder Vierte), Summen (jeder Zehnte) sowie Zischen, Klingeln, Piepsen, Sausen, Brummen, Zirpen oder gar Pulsieren und Hämmern (in abnehmender Häufigkeit).
Was kann Ohrgeräusche auslösen?
Die Medizin bzw. die Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Heilkunde kennt eine Vielzahl von Ursachen, die Ohrgeräusche auslösen können. Beispiele:
- Gehörgangsverschluss durch Fremdkörper oder einen Ohrschmalz-Pfropfen
- entzündliche Mittelohr-Erkrankungen
- Trommelfellperforation (Trommelfelldefekt durch Riss oder punktförmige Durchlöcherung), Mittelohrtrauma
- Verkalkung der entsprechenden Gefäß
- erblich, degenerativ oder vergiftungsbedingte Schwerhörigkeit
- Alters-Schwerhörigkeit
- Knalltrauma (lärmbedingte Gehörstörung)
- chronische Lärm-Schwerhörigkeit
- Morbus Menière-Krankheit (anfallsweiser Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen, einseitige Ohrgeräusche und Schwerhörigkeit)
- Hörsturz (siehe dort)
- Bluthoch- bzw. zu niederer Blutdruck
- Schädel-Hirn-Unfall (Schädelbasisfraktur)
- Akustikus-Neurinom (Tumor, des VIII. Gehirnnerven)
- degenerative Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule, auch unfallbedingt
- Veränderungen bestimmter Arterien (anlagebedingte Anomalien oder Erkrankungen von Gefäßen im Bereich des Innenohrs oder gar Brustkorbs)
- Tumoren (Gehirn, Gefäße, Innenohr)
- Herz-Kreislauferkrankungen (siehe oben), Gefäßverengungen
besonders aber
- seelische Erkrankungen (z.B. Depressionen) sowie psychosoziale Auslöser und psychosomatisch interpretierbare Störungen (siehe unten)
Wie definiert man den Tinnitus?
Die HNO-Heilkunde unterscheidet:
- objektive Ohrgeräusche: Das sind solche, die mit technischen Hilfsmitteln von einem Beobachter aufgezeichnet werden können. Meist handelt es sich um anatomische Veränderungen oder Störungen der Funktionsabläufe (z.B. Gefäße, Muskeln, Mittelohrstörungen).
- Subjektive Ohrgeräusche dagegen sind solche, die von einem Beobachter oder mit technischer Unterstützung nicht wahrgenommen oder registriert werden können. Diese subjektiven Ohrgeräusche werden inzwischen als der eigentliche Tinnitus definiert.
Wichtig für die Betroffenen (und ihre Angehörigen) ist auf jeden Fall die Erkenntnis:
Tinnitus ist kein eigenständiges Krankheitsbild, sondern ein Symptom, ein Krankheitszeichen. Es kann sich aber im Laufe des Leidens verselbständigen.
Wem droht ein Tinnitus?
Der Tinnitus ist – wie erwähnt – so alt wie die Menschheit, aber nimmt zu. Aufgrund verschiedener, vor allem englischer und amerikanischer Untersuchungen hat man folgendes Häufigkeitsmuster festgestellt:
- Etwa 35-45% der Bevölkerung hatten schon einmal ein Ohrgeräusch.
- Etwa 15% kennen ein gelegentliches, spontanes Ohrgeräusch mit einer Dauer von mehr als 5 Minuten.
- Mindestens 8% erleben einen Tinnitus als störend.
- Etwa 0,5% fühlen sich durch ihre Ohrgeräusche in Lebensqualität und Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt (nach Schwab und Lenarz).
Das sind beeindruckende Erkenntnisse, wenn man sie in Zahlen umrechnet. Dabei glaubt man heute, dass es in Wirklichkeit eher mehr als weniger Betroffene gibt.
Viele Tinnitus-Patienten sind jedoch der Überzeugung, dass nur sie allein dieses Leiden hätten. Dabei sind sie umgeben von Millionen von „Tinnitus-Erfahrenen“ und Hunderttausenden, die extrem darunter zu leiden haben.
Was muss man noch über den Tinnitus und seine Häufigkeit, den Verlauf und spezielle Aspekte wissen?
- Geschlecht: In den meisten Untersuchungen finden sich Frauen öfter betroffen als Männer. Dennoch suchen mehr männliche als weibliche Patienten ärztliche Hilfe. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sich der Tinnitus im Beruf besonders negativ auswirkt.
- Alter: Von jenen Patienten, die einen Arzt aufsuchen (und nur die kann man statistisch erfassen), sind die sogenannten mittleren oder besten Jahre sowie das beginnende Rückbildungsalter am stärksten betroffen. D.h. wenig unter 20, zunehmend zwischen 20 und 40, ein Häufigkeitsgipfel zwischen 40 und 60 Jahren und dann ein langsamer Rückgang. Am deutlichsten ist der Anstieg jenseits des 45. Lebensjahres. Das weist auf drei Belastungsfaktoren hin:
- Beruflicher Stress (weshalb der Tinnitus auch gerne als „Lehrer-“ oder „Bürgermeister-Krankheit“ bezeichnet wird, aber es betrifft natürlich jeden Menschen, der Stress jeglicher Art ausgesetzt ist, am meisten wohl im Berufsleben).
- Beginnende Alters-Schwerhörigkeit im anlaufenden Rückbildungsalter. Und hier muss auf ein besonderen Aspekt hingewiesen werden, den die meisten Menschen entweder gar nicht kennen, oder nicht ernst nehmen, und das ist das sogenannte
- „Lärm-Konto“: Lärm und Alter tragen ganz erheblich zur Entwicklung eines Tinnitus bei. So ist das Tinnitus-Risiko unter beruflicher Lärmbelastung etwa doppelt so hoch wie bei Menschen ohne entsprechende Beeinträchtigung.
Wer also sein „Lärm-Konto“ über viele Jahre hinweg mit „Lärm-Schulden“ belastet hat, muss im Rückbildungsalter öfter dafür „zahlen“.
- Soziale Schicht: Tinnitus findet sich in allen sozialen Schichten, dürfte aber bei den Arbeitslosen (Stress eigener Art) am höchsten sein. Bei den Selbständigen findet man ihn seltener. Dass die Oberschicht und insbesondere die Selbständigen dann aber bei ärztlichen Untersuchungen doch häufiger vertreten sind, hängt mit dem schichtspezifischen Krankheitsverhalten bzw. verantwortungsvolleren Gesundheitsbewusstsein zusammen, was die Heilungsaussichten (Prognose) natürlich erheblich verbessert.
Wie verläuft ein Tinnitus?
Ohrgeräusche pflegen in der Regel nur zeitweise zu belasten, ein- oder beidseitig, können aber auch langfristig, in Einzelfällen sogar lebensbegleitend zermürben. Viele Menschen brauchen sogar Jahre, bis sie erstmals einen Arzt aufsuchen, was die Heilungsaussichten natürlich deutlich verschlechtert.
Besonderheiten der Tinnitus-Erkrankung
Für Diagnose und Therapie (siehe später) gilt es einige Besonderheiten zu beachten:
So gibt es Hinweise, dass das linke Ohr häufiger betroffen sei als das rechte, allerdings abhängig von Geschlecht und vielleicht sogar Alter.
Was Lautstärke und Charakter des Tinnitus anbelangt, so werden hochfrequente Geräusche lauter empfunden als tieffrequente.
Und von der Häufigkeit her ein deutliches Überwiegen von Pfeifen und Rauschen vor Summen und – sehr viel seltener – Zischen, Klingeln, Piepsen, Sausen, Brummen, Zirpen u.a.
Von besonderer Bedeutung für Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und vielleicht auch einmal als Einteilungsmaßstab ist die Frage, ob es sich um einen kompensierten oder dekompensierten Tinnitus handelt.
Unter einem kompensierten Tinnitus versteht man Ohrgeräusche, die vom Betroffenen ohne wesentliche Beeinträchtigung hingenommen werden, von Anfang an oder im Verlaufe des Leidens.
Dagegen zeichnet sich ein dekompensierter Tinnitus (auch als komplexer Tinnitus bezeichnet) dadurch aus, dass er als eigenständige Krankheit empfunden wird und sich auf weite Bereiche der Lebensführung negativ auswirkt. Das führt dann auch zu den bei vielen Tinnitus-Betroffenen geklagten Symptomen wie Unruhe, Schlafstörung, Konzentrationsschwäche, Angstzustände und sogar zu einer vegetativen Labilität (siehe das entsprechende Kapitel funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen). In extremen Fällen kann der Tinnitus sogar zu Verzweiflungstaten hinreißen (z.B. Selbsttötungsgefahr).
Einen tröstlichen Aspekt gilt es sich jedoch zu merken:
Ist Tinnitus gefährlich? Nein. Es gibt nur sehr wenige gefährliche Ursachen (z.B. eine Geschwulst am Hörnerven, das sogenannte Akustikus-Neurinom), die aber mit den heutigen Möglichkeiten relativ schnell diagnostiziert und entsprechend behandelt werden können. Ansonsten sind Ohrgeräusche weder von ihren Ursachen noch von ihren Auswirkungen her gefährlich – nur eben zermürbend.
Wie erklärt man sich einen Tinnitus medizinisch?
Um es vorwegzunehmen: Es gibt viele Theorien, aber bisher keine allseits anerkannte und vor allem alleinige Erkrankungsursache. Ursprung ist auf jeden Fall das Innenohr. Äußeres (Ohrmuschel und Gehörgang) sowie Mittelohr (Trommelfell, Gehörknöchelchen und Mittelohrmuskeln) dienen als Transportorgane für Schallwellen. Das Innenohr hingegen (siehe unten) ist das entscheidende Reiz-Verteilungs- und Reiz-Transformationsorgan. Hier werden die mechanischen Schwingungen der Innenohrflüssigkeit in biochemische und bioelektrische Signale umgeformt und damit den Hörnerven als Erregung weitergeleitet. Entscheidend in der sogenannten Innenohr-Schnecke (Cochlea) sind äußere und innere Haarzellen, wobei Letztere als die eigentlichen Sinneszellen angenommen werden. Wenn nun diese feinen Sinneszellen im Innenohr aufgrund einer Schädigung (organisch durch Lärm oder Knall bzw. psychosozial durch Stress u.a.) aktiviert werden, dann haben wir es mit einem Tinnitus zu tun. Das Problem ist zum einen das Ohrgeräusch, zum anderen aber die Grundlosigkeit und damit Sinnlosigkeit einer solchen Reaktion des Sinnesorgans „Gehör“.
Früher, vor tausenden von Jahren, als man noch an Götter glaubte, nahm man an, Tinnitus-Betroffene könnten die Stimmen der Götter hören und daraus weissagen. Dementsprechend hoch war ihr Ansehen. Heute ist es umgekehrt:
Die Betroffenen sind verzweifelt und fühlen sich behindert, beeinträchtigt, wenn nicht gar minderwertig.
Und doch hat sogar der Tinnitus eine Funktion, auch wenn der moderne Mensch nicht mehr gewohnt ist, auf die Signale seines Körpers zu achten. Ist es eine organische Ursache, wird er das lästige Ohrgeräusch noch am ehesten abzuklären und zu verstehen suchen. Hat es aber psychosoziale Gründe, z.B. Wesensart, Überforderung, Konflikte usw., so ist er nur ungern bereit, solche Ursachen zu erkennen, anzuerkennen und zu ändern. Und doch gilt der – für Betroffene schwer verständliche – Satz: Das ist mein Tinnitus, was will er mir sagen (siehe später).
Was kann man gegen Tinnitus tun?
Die beste Therapie ist eine rasche Diagnose. Das setzt allerdings voraus, dass man möglichst umgehend seinen Arzt aufsucht. Dieser wird erst einmal alle organischen Ursachen ausschließen (siehe oben). Dann wird er auch auf seelische bzw. psychosoziale Auslöser zu sprechen kommen.
In der Tat scheint die Mehrzahl der Tinnitus-Erkrankungen auf eine seelisch-körperliche Überforderung, besonders in stress-intensivem Kontakt mit anderen Menschen zurückzugehen. Dabei spricht man von einem „mehrdimensionalen Bedingungsgefüge“:
- Oft organischer Schwachpunkt (oder deren mehrere),
- dazu psychosoziale (meist familiäre, vor allem aber berufliche Überforderung) sowie
- als Grundlage nicht selten eine entsprechende Persönlichkeitsstruktur oder zumindest nachteilige Strategie der individuellen Konfliktbewältigung.
Dazu kommen ggf. biologische, vor allem aber zentralnervöse Schwachpunkte mit erniedrigter Reizschwelle (unzulängliche Filterfunktion bestimmter Gehirnstrukturen bei gemütsmäßigem Stress?). Und dadurch ein Teufelskreis.
Zuerst einmal aber richtet man sich nach der Dauer des Tinnitus:
- Ein akuter (plötzlicher) Tinnitus, der weniger als drei Monate besteht, wird wie ein Hörsturz behandelt (siehe dieser, also vor allem durchblutungsfördende Medikamente).
- Beim sogenannten subakuten Tinnitus (zwischen drei und zwölf Monaten Dauer) geht man mit speziellen Medikamenten vor (siehe später), doch gewinnen jetzt vor allem Entspannungsverfahren an Bedeutung. Außerdem wird man sich therapeutisch verstärkt die Halswirbelsäule und das Kiefergelenk vornehmen.
- Beim chronischen Tinnitus (länger als ein Jahr) unterscheidet man zwischen den kompensierten Ohrgeräuschen (der Patient hat gelernt, sich mit seinem Leiden zu arrangieren) und einem dekompensierten Tinnitus. Hier drohen durch Stress, Anspannung, Resignation, Angst, Depressivität, Schlafstörungen u.a. ein Teufelskreis und damit Langzeiterkrankung oder gar Verstärkung.
Beim kompensierten Tinnitus beschränkt man sich auf Beruhigung und Beratung. Der dekompensierte Tinnitus braucht dies auch, aber ergänzt durch eine ggf. apparative Versorgung mit Maskierung oder Hörgeräten. Vor allem aber eine psychotherapeutische Betreuung, ambulant oder in einer (Fach-)Klinik, z.B. einer spezialisierten Tinnitus-Klinik.
Grundsätzlich wichtig zu wissen:
Das erste Jahr des Tinnitus sollte therapeutisch optimal genutzt werden.
Grundlage jeder Behandlung aber ist auch der inzwischen etablierte Grundsatz: weg von der Therapie (die bei chronischer Entwicklung ihre Grenzen hat und dadurch noch mehr frustriert und resigniert macht), hin zur Betreuung.
In medikamentöser Hinsicht gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die vor allem der HNO-Arzt einsetzt:
- Durchblutungsfördernde Therapie: rheologische Infusionstherapie mit Plasmaexpandern und Vasodilatanzien (gefäßerweiternde Arzneimittel)
- Antiarrhythmika bzw. Lokalanästhetika: z.B. niedermolekulares Dextran sowie Procain
- Neurotransmitter: Glutamat und Glutaminsäurediethylester sowie Caroverin
- Kalziumantagonisten: z.b. Nimodipin und Flunarizin
- Psychopharmaka: Da nicht wenige Tinnitus-Betroffene durch die permanente Lärmeinwirkung depressiv reagieren, ist man bisweilen gezwungen ein Antidepressivum zu geben (mitunter auch einen beruhigenden und angstlösenden Tranquilizer). Patienten, die keine synthetischen („chemischen“) Psychopharmaka wollen, können es auch mit psychotropen Phytopharmaka (Pflanzenheilmitteln mit Wirkung auf das Zentrale Nervensystem und damit Seelenleben) versuchen. Das ist vor allem das stimmungsaufhellende Johanniskraut (allerdings hoch genug dosiert und lange genug eingenommen) und die beruhigenden Pflanzenheilmittel Baldrian, Hopfen und Melisse (meist als Kombinationspräparat). Einzelheiten dazu siehe die Kapitel Tranquilizer, Antidepressiva, Pflanzenheilmittel mit Wirkung auf das Seelenleben).
- Weitere Arzneimittel mit indirekter Wirkung auf das Seelenleben: Diskutiert wird auch der Einfluss von Muskelrelaxanzien (muskelentspannende Wirkung) und Antikonvulsiva. Das sind antiepileptisch wirkende Arzneimittel wie Carbamazepin oder Valproinsäure. Dies bedarf allerdings – wie bei den Psychopharmaka auch – einer Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt und Psychiater/Nervenarzt/Neurologen.
- Vasodilatatoren: Substanzen wie Niacin (Vitamin B-Komplex) und das pflanzliche Ginkgo biloba können den Blutfluss erhöhen, weshalb man sie vor allem in den ersten Wochen eines Tinnitus versucht hat. Allerdings gibt es hier kontroverse Ansichten unter den Fachleuten.
Nicht-medikamentöse Therapiemethoden zur Behandlung des Tinnitus
Zu den nicht-medikamentösen Behandlungsmethoden im weitesten Sinne gehören vor allem Biofeedback, autogenes Training, Hypnotherapie, hyperbare Sauerstofftherapie (HBO-Therapie), Hörgeräte und Tinnitus-Maskierung sowie die Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT). Auch Akupunktur, Sauerstoffmehrschritt-Therapie, homöopathische Medikamente („Zellsalze“) u.a. wurden auf ihre Effektivität geprüft.
Zu besonderer Bedeutung brachten es vor allem Tinnitus-Maskierung, Tinnitus-Retraining-Therapie sowie psychotherapeutisch stützende Maßnahmen. Im Einzelnen:
- Hörgeräte und Tinnitus-Maskierung: Hier geht es vor allem um die Verstärkung der Umweltgeräusch durch ein Hörgerät. Damit soll das hintergründige Tinnitusgeräusch verdeckt oder maskiert werden. Auch bei Patienten ohne Hörverlust setzt man gelegentlich einen sogenannten Tinnitusmasker ein, der das Ohrgeräusch durch ein Rauschsignal verdecken soll.
- Tinnitus-Retraining-Therapie (TRT): Im Gegensatz zur Maskierung (siehe oben), die den Tinnitus verdecken und zu anderen Handlungsansätzen, die den Tinnitus ausschalten sollen, zielt die TRT darauf ab, dass Gehör gegenüber dem Tinnitus zu de-sensibilisieren. Es wird also nicht so sehr die eigentliche Ursache bekämpft, sondern versucht den unbewussten Wahrnehmungskreislauf zu unterbrechen, das Gehör also zu „re-trainieren“.
Das setzt aber nicht nur eine genaue Kenntnis der individuellen Tinnitus-Entstehung und des Zusammenspiels von Hörwahrnehmungsstörungen und psychischen bzw. psychosozialen Folgen voraus, es braucht auch ständige Übungen zur Verbesserung jener Hörwahrnehmungen, die die Umlernprozesse („Re-Training“) fördern und die Fixierung auf den Tinnitus lösen sollen. Langfristig „lernt“ das Gehör damit, sich an den Tinnitus zu gewöhnen und ihn zu überhören. Das kann allerdings viele Monate dauern.
- Psychotherapeutische Maßnahmen im weitesten Sinne: Tinnitus zermürbt, macht müde, matt, resigniert, deprimiert und durchdringt schließlich alle seelischen, kognitiven (geistigen) und psychovegetativen Schichten. Tinnitus ist also zum (auslösenden?) Alltagsstress ein zusätzlicher Stressfaktor. Dem sollen Autogenes Training, Yoga, Muskelrelaxation nach Jacobson, Biofeedback, Hypnotherapie, Suggestion, kognitive Verhaltenstherapie u.a. entgegenwirken. Dazu sollte im Bedarfsfalle (siehe dekompensierter Tinnitus) eine stützende Gesprächspsychotherapie beitragen (Stichwort: weg von der Behandlung, hin zur Betreuung).
Eine wichtige, zunehmend sogar zentrale Position nehmen die Tinnitus-Selbsthilfegruppen ein, wo die Betroffenen eine Fülle von praktischen Ratschlägen und Empfehlungen erwartet. Und Trost aus der Reihe der Erfahrensten, nämlich der Mitbetroffenen. Einzelheiten siehe Kasten.
Was kann man gegen Tinnitus unternehmen?
- Vermeiden Sie unnötige Resignation und damit Rückzug, Isolation und unzureichende medizinische Betreuung bzw. Behandlung.
- Informieren Sie sich ausreichend über Ursachen, Auswirkungen, Lebensperspektiven, seelische, körperliche und psychosoziale Folgen eines Tinnitus. „Wissen ist Macht.“ Auch die Macht zu helfen – nicht zuletzt sich selber. Alles andere führt zu unnötigen Ängsten, zu negativem Denken, zu Niedergeschlagenheit, Ratlosigkeit, Mutlosigkeit und Hoffnungslosigkeit – vermeidbar mit den heutigen Möglichkeiten.
- Denken Sie auch stets an den Trost: Tinnitus führt weder zur Taubheit noch besteht die Gefahr, verrückt zu werden.
- Umgehen Sie vor allem in der Akutphase jeden Stress. Am besten man wird sofort ein bis zwei Wochen krankgeschrieben wird. Raus aus der „Mühle“, auch wenn man sich der Überforderung gewachsen glaubt oder sich gar unersetzbar wähnt.
- Verzichten Sie auf Nikotin und Koffein, einen übermäßigen Alkoholgenuss, chinin-haltige Getränke und glutamin- bzw. glutamat-haltige Speisen (z.B. China-Restaurant). Vermeiden Sie auch große Hitze und Kälte bzw. entsprechende Temperaturschwankungen (also z.B. Urlaubsflüge mit entsprechenden klimatischen Bedingungen).
- Meiden Sie Lärm und laute Musik.
- Überprüfen Sie gemeinsam mit Ihrem Arzt Ihre Medikamente. Sind sogenannte ototoxische Arzneimittel dabei, die das Gehör als Nebenwirkung schädigen könnten?
- Trainieren Sie Entspannungsübungen (Autogenes Training, Yoga, Progressive Muskelrelaxation). Üben Sie konsequent, auch wenn Ihnen der Tinnitus viel Initiative und Energie raubt.
- Vermeiden Sie negative Denk-Schablonen (und damit sich selbst erfüllende Negativ-Prophezeiungen), denken Sie konstruktiv, positiv und damit die Regeneration unterstützend.
- Versuchen Sie körperlich aktiv zu sein, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Ein günstiges Mittelmaß ist der sogenannte „Gesundmarsch bei Tageslicht“, da körperlich stärkend, angstlösend und stimmungsstabilisierend (etwa 6 bis 9 km/Stunde, rund 30 bis 60 Minuten pro Tag).
- Fördern Sie Ihre familiären und sonstigen sozialen Beziehungen, aber vermeiden Sie es, Ihre Angehörigen ständig durch Ihr Jammern und Klagen zu „nerven“.
Denken Sie an zweierlei: Zum einen ist der moderne Mensch nicht sehr belastbar. Zum anderen sehen Sie auch als schwer Tinnitus-Betroffener nicht krank aus, unglücklich zwar, aber der Laie hat seine Mühe, Sie als so beeinträchtigt anzusehen, wie Sie in der Tat sind. Wenn Sie dann noch durch dauerndes Klagen belasten, zieht sich Ihr Umfeld langsam zurück. Aber gerade jetzt brauchen Sie es ja.
Versuchen Sie einen Kompromiss und denken Sie daran: Auch der Wohlwollendste hat seine Grenzen und wenn die Reserven zu Ende sind, „ist auch sein Topf leer“.
Ratschläge aus der Reihe der Selbsthilfegruppen
Vieles läuft letztlich auf einen Aspekt hinaus, der schon erwähnt wurde, vor allem aber zu Beginn vielen Patienten weder einleuchtet noch Trost vermittelt, auf Dauer aber doch recht hilfreich ist:
Der Tinnitus als Gradmesser der individuellen seelisch-körperlichen Belastungsfähigkeit und Warnhinweis auf Überforderung, dysfunktionalen Kräfteeinsatz und schwindende Reserven. Oder populär und lebensnah ausgedrückt: „Das ist mein Tinnitus, was will er mir sagen?“ Und danach: Konsequenzen ziehen und Geduld, Geduld und nochmals Geduld.
Literatur
Zahlreiche Fachbücher und wissenschaftliche Publikationen, inzwischen auch zunehmende Zahl guter allgemeinverständlicher Artikel und Sachbücher.
Grundlage vorliegender Ausführung sind:
- Biesinger, E.: Die Behandlung von Ohrgeräuschen. Was Tinnitus-Patienten das Leben leichter macht. Trias-Verlag, Stuttgart 1996
- Deter, H.-C. (Hrsg.): Angewandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997
- Goebel, G.: Ohrgeräusche – psychosomatische Aspekte des komplexen chronischen Tinnitus. Quintessenz, München 1992
- Hallam, R.: Leben mit Tinnitus. Wie Ohrgeräusche erträglicher werden. Quintessenz-Verlag, München 1994
- Kellerhals, B.: Tinnitus-Hilfe. Karger-Verlag, Basel 1996
- Richtberg, W.: Was Schwerhörigsein bedeutet. Kind, Großburgwedel 1990
- Richtberg, W.: Vom Zuhören zur Begegnung. In: H.-J. Bochnik, W. Oehl (Hrsg.): Begegnungen mit psychisch Kranken. Verlag Wissenschaft & Praxis, Sternenfels 2000
- Richtberg, W.: Psychische und soziale Folgen von Schwerhörigkeit. In: Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. G. Fischer-Verlag, Stuttgart, Jena-New York 1996
- Richtberg, W., K. Verch (Hrsg.): Hilfen für Hörgeschädigte. Academia-Verlag, St. Augustin 1993
- Uexküll, Th. v. (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1996
Weitere Informationen durch:
Deutsche Tinnitus-Liga (DTL): Postfach 349, D-42353 Wuppertal, Telefon: 0202/2 46 52-0, Telefax: 0202/4 67 09 32
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.